Offener Brief an die Beteiligten von #allesdichtmachen

Liebe*r Dietrich Brüggemann, Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Wotan Wilke Möhring, Ulrich Tukur, Felix Klare, Meret Becker, Martin Brambach, Ken Duken, Richy Müller, Volker Bruch, Ulrike Folkerts, Kostja Ullmann, Christine Sommer, Nadja Uhl und alle anderen filmschaffenden Künstler*innen der Aktion #allesdichtmachen, sowie lieber Moritz Bleibtreu,

puuuuh, was für eine Woche! Über ein Jahr lang nur Corona, Tote, Zoom, abgesagte Filmpremieren und warten auf die Wiedereröffnung der Kinos, und plötzlich geht wieder richtig was im deutschen Filmbiz! Richtig viel. So viel, dass wir erstmal zurückspulen müssen…

Was ist denn hier los?

Seit mehr als 14 Monaten ertragen wir nun alle auf diesem Planeten die Auswirkungen der Pandemie. Wer nicht das Glück hat, eine Insel weit weg im Ozean zu sein, und sich somit „einBubblen“ zu können, scheint sehr schlechte Karten zu haben. Überall fehlt es an klaren Konzepten und schlüssigen Strategien. Einzig eine Strategie scheint weltweit fast einstimmig seitens der Wissenschaft als Schlüsselinstrument zu funktionieren: Der Lockdown, mit social distancing und dem Tragen von Atemschutzmasken. In der Tat sehen wir, wie die Infektionszahlen dadurch sinken. Doch das hat auch seinen Preis. Die Folgen des langen Lockdowns bringen andere Schäden mit sich, die vor allem Kinder, Pflegebedürftige und Senioren treffen; oder sich in Form von Arbeitslosigkeit, Konkursmeldung, Depressionen manifestieren und außerhalb Deutschlands sogar existenzielle Hungersnöte auslösen. Das Aussetzen der Sicherheitsmaßnahmen und des Lockdowns hingegen führt wiederum zu einem Anstieg der Infektionszahlen und folglich zum Tod vieler Menschen mittlerweile jeder Altersgruppe. Über 3,2 Millionen Tote hat das Virus bis heute gefordert und unvorstellbar viel Leid. Von einer Kontrolle des Virus ist man noch weit entfernt.

In Deutschland hat die Regierung Hungersnot und Massenarbeitslosigkeit durch finanzielle Hilfen verhindern können, auch wenn nicht alle gleichermaßen berücksichtigt wurden und einige den Kürzeren ziehen, wie z.B. die Kreativ- und Veranstaltungsbranche, Solo-Selbständige, u.v.a.m. Trotz des vergleichsweise guten sozialen Auffangnetzes hat sich in Deutschland eine Gegenbewegung formiert: die Querdenker, die das Coronavirus als harmloses Grippevirus abtun, sämtliche Sicherheitsmaßnahmen als unrechtmäßig und unsinnig deklarieren und sich somit in ihren Grundrechten beraubt fühlen. Dafür gehen sie regelmäßig mit einigen tausend Anhänger*innen auf die Straße, um demonstrieren ohne jegliche Schutzmaßnahmen einzuhalten gegen diese. Die Folgen sind womöglich tausende Neuinfektionen nach jeder Demo und das Gefühl, dass der Lockdown so nie enden wird. Die Rechten, vorneweg die AfD, wissen auf diesen Zug aufzuspringen und sehen darin ihre Chance, die Bundesregierung endlich stürzen zu können. Zu ihrem Glück präsentiert sich die Bundesregierung z.T. hilflos, planlos, verwirrt und vor allem uneinig. Beschlüsse werden von der Bundesregierung gefasst und veröffentlicht, um dann umgehend von fast jedem Bundesland anders ausgeführt zu werden. Effektive Pandemiebekämpfung sieht anders aus. Als wenn das nicht reichen würde, folgen die Maskendeal-Skandale in der CDU/CSU. Im April zieht die Bundesregierung, angesichts der immer weiter steigenden Infektionszahlen die Notbremse, die u.a. eine Ausgangssperre mit sich bringt.

Am 23. April 2021 veröffentlicht ihr als vermeintliche Gruppe von 53 Filmschaffenden 53 selbstgedrehte Videos unter #allesdichtmachen. J.J. Liefers behauptet, es wäre Satire und Brüggemann redet von Parodie. Tatsächlich präsentiert ihr uns in billigster Polemik wie lächerlich ihr sämtliche Corona-Sicherheitsmaßnahmen findet. J.J. Liefers wirft den Mainstream-Medien vor, regierungsunterwürfig zu sein und obsolete Panikmache zu betreiben, in anderen Videos beschwert ihr euch, dass es keine Meinungsfreiheit in der BRD gibt – und überhaupt lasst ihr keine Narrative der Querdenker in den 53 Videos aus. Mit dieser Polemik fühlen sich vor allem die Hauptleidtragenden verspottet, wie das Gesundheitspersonal in den Intensivstationen, Kinder & Senioren, Angehörige von Coronatoten, Menschen, die sich nicht allein eine 120qm Wohnungen leisten können, oder ihre Arbeit verloren haben, usw. Es kommt was kommen musste: Wer so rücksichtslos das große Schwungrad der Hetze so sehr auf Touren bringt, der darf sich nicht wundern, wenn er selbst durch die Rotationsenergie im Shitstorm unter die Räder gerät. Über ein Drittel der Videobeiträge werden daraufhin von einigen von euch gelöscht. Wohlgemerkt geht das ja gar nicht in Zeiten des Internet 2.0.

Aber es gibt ja auch Beifall. Selbstverständlich fast ausschließlich von Querdenkern und von ganz Rechts. Für die AfD und die anderen Rechtsradikalen ist eure Aktion ein 6er im Lotto. Seit #allesdichtmachen startet die AfD jeden Morgen ihren Arbeitstag mit einer Polonäse im Parteibüro und alle singen „Deutsches Kino über Alles!“, und selbst Hans-Georg Maaßen findet auf einmal Deutsches Kino richtig „großartig“. Im Laufe der journalistischen Recherchen kommt dann auch noch heraus, dass die Aktion von langer Hand geplant ist. Der aus dem rechten Spektrum kommende Notfallarzt Paul Brandenburg hat diese Aktion bereits vor über einen Monat in einem rechten You-Tube Kanal angekündigt. Brüggemann teilt sich nicht nur sein Postfach mit diesem Rechten, sondern ist auch zusammen mit Volker Bruch Unterstützer der von ihm gegründeten als bürgerlich getarnten rechte Initiative „1bis19“. Brüggemann selbst soll laut einer Schauspielerin, die bei eurer Aktion ausgestiegen ist, die meisten Drehbücher verfasst haben und Schauspieler*innen rekrutiert haben. Obwohl er anfangs behauptet hat, es wäre eine reine Gruppenaktion gewesen. Des Weiteren stellt sich in diesem Zusammenhang heraus, dass Brüggemann auch das Musikprojekt Nancy Noise ist und der Verfasser vom Song „Steckt euch in den A“. Ein Song in dem aufgefordert wird, sämtliche „Corona Maßnahmen, Polizeitstaat, Regierung…“ und auch Trumps Lieblingsausdruck „China Virus“, alles „…in den Arsch zu stecken“. Kein Wunder, dass dieser Song auf der Querdenker-Demo-Hitparade seit 65 Wochen den Platz 1 inne hält. Auch der Produzent dieser 53 Videos wird als Querdenker enttarnt, bzw. als jemand der seit Stunde Null bei den entsprechenden Demos mitläuft und die gleichen Thesen propagiert.

Aber es ist schon beruhigend, dass ihr alle fest und steif versichert, dass ihr mit Querdenkern und Rechten oder der AfD nix zu tun habt. Jetzt kommt laut Tagesspiegel heraus, dass Moritz Bleibtreu sieben Schauspieler*innen für diese Aktion rekrutiert hat. Laut dem Artikel des Tagesspiegels traut sich jedoch keiner der Schauspieler, das öffentlich auszusprechen, weil: „Der lässt dich dann eventuell aus dem nächsten Projekt kicken, wo er besetzt ist“. Glücklicherweise hat das Moritz Bleibtreu nicht bestätigt, sondern ließ von seiner Pressesprecherin verlauten: „Ich wurde für die Aktion angefragt und stand eine Zeit lang mit mehreren Kollegen dazu im Dialog. Schlussendlich habe ich mich dazu entschlossen, die Aktion nicht zu unterstützen. Mich betrübt die aus der Aktion resultierende Stimmung sehr und ich würde mir ein friedlicheres Miteinander wünschen.“ Sehr schön lieber Moritz, das wünschen wir uns auch aus ganzem Herzen!

So weit so gut.

Was wolltet ihr nochmal?

Laut Brüggemann und J.J.Liefers – wir nennen sie mal ganz wertefrei Rädelsführer, da die anderen Mäuschen kein piep machen – wolltet ihr mit den 53 Videos die Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Corona Pandemie kritisieren und damit eine Diskussion zu diesem Thema anstoßen. Das ist in jedem Fall angebracht und ein prima Plan!

Wir verfolgen seit einer Woche aufmerksam die Diskussionen im Fernsehen und im Netz. Und wir müssen feststellen: Leider ist in dieser Zeit im Kontext eurer Videoaktion nicht einmal über die Maßnahmen der Regierung diskutiert worden. Stattdessen werden ausschließlich die Schwurbler-Narrative durchgekaut, die kein denkender Mensch mehr hören kann. Medien sind alle regierungstreu, Masken bringen nix, Corona ist keinen Lockdown wert, es werden keine Meinungen angehört die regierungskritisch sind und vor allem „Wenn man das nicht mehr sagen darf …“ – die angeblich fehlende Meinungsfreiheit!

Was wir in der letzten Woche auf jedem Kanal und vor allem im Netz verfolgen durften, ist das der Spalt, der durch diese Gesellschaft geht, noch viel tiefer geworden ist durch eure Aktion. Bis hinein in unsere Zunft. Überall wird Hass und Frust ausgekübelt. Keinem der o.g. Leidtragenden ist damit geholfen worden. Ganz im Gegenteil. War das beabsichtigt? Laut Brüggemann war es so beabsichtigt, es sollte „wehtun“, auch wenn er den Shitstorm später „faschistoid“ nennt. Wenn das so beabsichtigt war, ist es verwunderlich, dass über ein Drittel der Schauspieler*innen ihre Videos daraufhin gelöscht haben. Oder hatten diese ein anderes Ziel vom Drehbuchautor vermittelt bekommen? Das lässt sich leider dank mangelnder Transparenz in diesen Moment nicht feststellen. Was aber in den letzten Tagen klar geworden ist: Obwohl ihr zu Anfang vehement behauptet habt, dass ihr mit Rechten und Querdenkern nichts zu tun habt, dies sich im Laufe der Recherchen der letzten Tagen als eindeutig unwahr herausstellte. Volker Bruch hat sogar Antrag bei der Querdenker Partei „Die Basis“ gestellt.
Dann fassen wir mal zusammen…

Ein paar Profis aus der Filmbranche rekrutieren zusammen mit zwielichtigen Gestalten aus dem rechten Milieu und dem Querdenker-Netzwerk 3 Dutzend Nebenrollenschauspieler*innen und ein Dutzend prominente Schauspieler*innen. Ziel ist es, Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung auszuüben. Die Prominenten sollen dabei ein besonderes Interesse an der Aktion in der Öffentlichkeit erwirken. De facto verbreiten Sie in den Videos nur krude Querdenker-Narrative und lösen in der breiten Bevölkerung Verachtung und Empörung aus. Faktisch sind die einzigen Profiteure eurer Aktion die Rechten. AfD und Die Basis reiben sich die Hände und freuen sich auf die bald kommenden Bundestagswahlen, und die Querdenker freuen sich auf den großen neuen Zulauf auf ihrer nächsten Demo.

Als professionelle Filmemacher*innen hättet ihr eure Aktion auch so drehen können, dass wir dieser Tage eine konstruktive und vielleicht sogar zielführende Diskussion über die Coronapolitik der Bundesregierung führen könnten. Stattdessen habt ihr eure prominente Macht missbraucht, um Verschwörungstheorien zu verbreiten und das demokratiefeindliche Lager zu stärken. Weiterhin versucht ihr, die Initiatoren und somit auch die wahren Beweggründe zu verschleiern u.a. mit Hilfe eurer prominenten Machtstellung. Aus den Erkenntnissen der letzten Tage lässt sich eigentlich nur schlussfolgern, dass ihr von Anfang an nur das im Sinn hattet: Eine Diskussion anzutreiben, die ausschließlich die Querdenker-Narrative bedient und den Spalt in der Gesellschaft tiefer treibt. Das ist euch gelungen.

Eurem „Werk“ könnten wir noch nicht mal die goldene Himbeere verleihen, denn die gibt’s nicht für Propaganda. Wir lehnen eure menschenverachtende Aktion ab. Wir finden es unerträglich, dass wir zusammen in einem Wort zusammengefasst werden können, die „Filmbranche“. Als Teil dieser distanzieren wir uns von euch in aller Deutlichkeit.

Wir finden es schändlich und äußerst peinlich wie gutverdienende Mittlere-Oberschicht-Promis wie ihr ihre Macht missbrauchen.

Bekannter seid ihr jetzt alle als vorher. Aufgestiegen zu Ikonen der Rechten. Wahrscheinlich lässt sich dieser Erfolg schon bald auf rechten Demos erkennen, auf der Brust eines stolzen Rechtsradikalen, als eine in Herz eingerahmte 53, eintätowiert gleich neben der 88. An diesem Erfolg wollen wir uns nicht beteiligen.

Wir stehen für einen offenen Diskurs und Meinungsvielfalt und lehnen daher Cancel Culture ab. Eure Werke bleiben bei uns zu sehen, auf der Leinwand oder im DVD Verleih. Aber aus eurem „Auto Cancel“ können wir euch nicht retten.

Egal ob Liefers, Brüggemann, Makatsch, Volkers, Bruch, Becker, Möhring, Tukur, Duken, Müller, Brambach, … und Bleibtreu, aus diesem Hashtag kommt ihr nicht mehr raus.
Daher fordern wir, dass ihr euch um Schadensregulierung kümmert. Dies ist mit dem Löschen von Videos und flachen Entschuldigungen nicht getan ist. Wiedergutmachung setzt eine transparente Aufklärung voraus, wer und welche Interessen diese Aktion initiiert haben, und welche Rolle Moritz Bleibtreu in diesem Zusammenhang einnimmt. Des Weiteren wäre eine Entschuldigung an alle Leittragenden der Pandemie überfällig. Wenn ihr der Meinung seid, es gebe für euch keinen Handlungsbedarf oder Anlass, irgendetwas richtig zu stellen, dann formulieren wir es mit Dietrich Brüggemanns Worten: Steckt euch eure als Kritik getarnten Querdenker-Narrative in den Arsch!

P.S. Damit das beim nächsten Mal mit der Satire auch klappt… hier ein Video eines Kollegen.