Der meistgehasste Film aller Zeiten!
Die Siebziger waren die Zeit kinematographischer Selbstbefreiung. Zensurvorschriften kippten. Sex, Crime und subversive Politik eroberten das Mainstreamkino. Zu den Giganten zählten IM REICH DER SINNE (R: Nagisa Oshima, 1976), SALO ODER DIE 120 TAGE VON SODOM (R: Pier Paolo Pasolini, 1975) und CALIGULA (R: Tinto Brass, 1979). Das Gros dieser Filme lief bis heute nicht im TV, ist sogar in vielen Länder verboten.
Mit CALIGULA plante Produzent Bob Guccione, Herausgeber des „Penthouse“-Magazins, seinen Einstieg ins Filmgeschäft. Der sollte in jeder Hinsicht ein Monumentalwerk werden. Guccione engagierte ausschließlich Spitzenkräfte: Das Drehbuch schrieb Gore Vidal (Onkel von Al Gore). Die Hauptrollen spielten Malcolm McDowell (Caligula), Peter O’Toole (Kaiser Tiberius), Helen Mirren (Caesonia) und John Gielgud (Nerva). Danilo Donati, ständiger Set-Designer von Federico Fellini, entwarf Paläste mit surrealen Folter- und Fickmaschinen. Aber die wichtigste Zutat brachte Co-Produzent Franco Rossellini ins Spiel: Ein monumentales Biopic über einen wahnsinnigen Caesaren? Da musste ein Regisseur her, der selber verrückt war: Der Skandalfilmer Tinto Brass (SALON KITTY).
Brass enttäuschte nicht, inszenierte einen visuellen Fieberrausch aus Splatter, Inzest und Pornographie. Eine ätzende Satire auf politische Unterwürfigkeit und Kriecherei: Als Caligula dem Senat befiehlt, wie Schafe zu blöken, tun sie das. Fast verzweifelt fragte er sich: „Womit soll ich die denn noch provozieren?!“
Nach Drehschluss riss Produzent Guccione den Schnitt an sich, eliminierte Satire-Sequenzen, verwandelte CALIGULA durch Einsatz von Prokofjew-Soundtrack in einen Polit-Alptraum: Dunkle Paläste, bizarre Luxus-Kerker, Orte unbegrenzter Willkür und Entrechtung. Spitzel hinter allen Säulen. Aber – selbst in den finstersten Winkeln der Paläste wütet die Geilheit. Guccione ließ zusätzliche Pornoszenen drehen. Resultat: Ein Splatterporno, wie der Marquis de Sade es gedreht hätte! Regisseur Tinto Brass ging auf Distanz: „Mein Film ist das nicht mehr.“
CALIGULA füllte 1979 zwar die Kassen, aber gutbürgerliche Rezensenten rasteten aus. US-Starkritiker Roger Ebert bezeichnete den Monumentalstreifen als „schamlosen Müll“ und setzte ihn auf die Liste der von ihm meistgehassten Filme. Andere Kritiker äußerten sich ähnlich. Dennoch eroberte Gucciones „teure Schlachtplatte“ (Spiegel) eine große Fangemeinschaft. Schließlich lautete eine cineastische Faustregel: Wenn das „Juste Milieu“ kotzt, ist der Film gelungen! Schnell schlugen die Zensoren zu, sorgten für Schnittmassaker und Indizierung. Ergebnis: Über 40 Fassungen von CALIGULA sind aktuell im Umlauf. Keine davon ist das „Original“, keine als „Directors Cut“ autorisiert. Zusammen bilden sie ein cineastisches Endlos-Puzzle. Die aktuelle Fassung steigert die Verwirrung um drei Stunden Archivmaterial! Das hier erstmal der Öffentlichkeit präsentiert wird. Dabei wird klar: Es gibt keine authentische Version, sondern nur Unmengen an Material, das sich zu völlig unterschiedlichen Filmen kompilieren lässt…
Der ULTMATIVE CUT ist weit weniger spektakulär als die Produzenten-Version. Die Porno-Sequenzen fehlen fast völlig. Stattdessen erlebt man, wie Caligula Schritt für Schritt die Leere hinter dem Pomp, das „Absurde“ (Camus) der menschlichen Existenz begreift – und wie diese Enttäuschung in Destruktion umschlägt.
Ein weiterer Grund, CALIGULA – THE ULTIMATE CUT zu schauen, ist natürlich Therese Ann-Savoy (1955-2017) als Drusilla! Extrem sexy und von enormer Durchsetzungskraft: Die mentale Stütze ihres Bruders. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Nach Drusillas Tod rastet Caligula völlig aus. Was ist ein Leben, wenn seine Schönheit erloschen ist?
P.S.: Wer nach CALIGULA noch mehr Sandalen-Kracher und Cäsarenwahn benötigt, dem sei noch GLADIATOR 2 empfohlen. Der läuft natürlich auch im b-ware! Ladenkino.